Erfahrungsbericht einer Veranstaltung

Anlässlich einer „Woche der Stille“ in Konstanz im März 2018 haben wir zu acht einen Tag unter dem Motto „Die Kraft des stillen Zuhörens – Empathie in der Gewaltfreien Kommunikation“ durchgeführt. Ich möchte hier das entwickelte Format kurz vorstellen und von meinen Erfahrungen berichten. Vielleicht inspiriert es andere dazu, auf vergleichbare Weise die Gewaltfreie Kommunikation und empathisches Zuhören in die Welt zu bringen.

Wir haben den gesamten Samstag (10-18 Uhr) – nach dem Ausbrüten der grundsätzlichen Idee zu zweit bei einem Glas Rotwein und ein paar Telefonaten – übrigens in nur zwei 90-minütigen Internet-ZOOM-Konferenzen einige Wochen vorher zu viert vorbereitet. Die Kernidee der Veranstaltung bestand darin, Menschen die Erfahrung zu schenken, dass ihnen still, also ohne Worte, aber mit voller Aufmerksamkeit zugehört wird bzw. sie auch selbst anderen, ohne Worte zu erwidern, zuhören können. Wir hofften dadurch die Sehnsucht zu wecken, dass Menschen einander mehr und aufmerksamer zuhören wollen, und auch ihrem Bedürfnis nach Empathie auf die Spur kommen.

An dem Tag haben wir zu zwei Zeiten zuerst einmal eine 30-minütige Einführung ins empathische Zuhören gegeben, und zudem alle einige persönliche Erfahrungen mit dem Zuhören und zugehört bekommen geteilt. So bekamen die Anwesenden eine Orientierung, um was es eigentlich geht, und auch mehr Vertrauen in uns als Zuhörende. 90 Minuten lang gab es dann für alle die Gelegenheit entweder sehr informell in der „Getränke- und Gesprächsecke“ ins Gespräch zu kommen oder auf den speziell vorbereiteten Stuhlpaaren Platz zu nehmen. An die Stühle haben wir jeweils „zuhören“ und „erzählen“ geklebt. Außerdem haben wir zur Anregung für die Erzählenden sieben Fragen wie „Wofür bist du dankbar?“ und „Was ärgert Dich?“ ausgelegt, so dass klar war, dass wir das Teilen von Persönlichem vorschlagen.

Eine passende Überleitung von unserer Einführung in diesen Erlebnisteil haben wir mit den Worten des bekannten amerikanischen Mediators, William Ury, gefunden, in denen er kurz und humorvoll seinen Traum einer „Revolution des Zuhörens“ formuliert und von einer „Kettenreaktion“ durch Zuhören spricht (https://www.youtube.com/watch?v=saXfavo1OQo ab Minute 12:15):

„Jeder Menschen, dem aufrichtig zugehört wird, wird auf natürliche Weise inspiriert einem nächsten zuzuhören. Zuhören kann ansteckend sein. Deshalb lade ich Sie ein, diese Kettenreaktion zu beginnen. Heute. Hier und Jetzt, in ihrem nächsten Gespräch mit einer Kollegin oder einem Kunden, mit einer Partnerin oder einem Kind, mit einem Freund oder einer Fremden. Geben Sie ihr oder ihm ihre volle Aufmerksamkeit, und hören Sie auf den Menschen hinter den Worten. Denn eines der größten Geschenke, das wir jemandem machen können, ist das Geschenk gehört zu werden.“

Nach dem Erlebnisteil haben wir die Anwesenden jeweils noch zu einem 15-minütigen Film zum Thema Zuhören eingeladen. Zum Abschluss gab es einen Erfahrungsaustausch zu dem, was die Menschen in den gemeinsamen zweieinhalb Stunden erlebt haben. Zur Veranstaltung kamen über den Tag verteilt ungefähr 40 Menschen, von denen wohl die Hälfte noch gar keine Erfahrung mit der Gewaltfreien Kommunikation mitbrachte. Als ich nach unserem ersten einleitenden Start etwas unsicher fragte, wer jetzt gern etwas erzählen und still zugehört bekommen möchte, war die Resonanz zuerst verhalten. Erst als eine Frau jemand von uns direkt vor allen ansprach und sie bat ihr zuzuhören, weil sie so berührt war von ihren persönlichen Worten, war das Eis gebrochen. Einige von uns setzten sich auf vorbereitete Zuhörstühle – und bald waren alle Stuhlpaare besetzt und die „Kettenreaktion“ begann. Es war auch ausreichend Freiheit, Selbstbestimmung und Kreativität im Raum, dass überall im Raum einfach zwei Stühle zusammengerückt wurden und Menschen begannen dort einander zuzuhören; auch bei bestehenden Zuhörpaaren wurde anfragt, ob man noch dazu kommen könne; einige rückten auch einfach mehrere Stühle zusammen, um einer Person gemeinsam still zuzuhören. Zumeist kamen dabei vermeintlich „fremde“ Menschen zusammen. Ich habe nicht mitgezählt, vermute jedoch, dass im Lauf des Tages ungefähr 50 Begegnungen mit stillem Zuhören jenseits von sonstigen Gesprächen und Begegnungen stattfanden.

Für mich war es gleich in mehrfacher Hinsicht ein gelungener und bereichernder Tag. Nach der ersten gespannten Aufregung, wie viele Menschen überhaupt der Einladung folgen würden, entstand wie gehofft ein Raum, der Menschen offensichtlich wirklich die Möglichkeit bot, sich zu öffnen und auf das Angebot einzulassen – und dabei vielfach Unbekanntes zu erleben. Die Austauschrunden zeigten: Die meisten waren sehr berührt von den gemachten Erfahrungen mit dem Zuhören; Menschen sprachen in sehr persönlichen Worten über ihre Erfahrungen; einigen war das Erlebnis besonders nahe gegangen. Viele hatten einfach nicht damit gerechnet, anderen so schnell näher zu kommen, und so viel Verbundenheit mit „Fremden“ zu spüren. Das Erzählen haben viele als Möglichkeit erlebt, einmal Zeit für sich zu haben, ein wenig mehr inne zu halten und sich selbst zu klären. Es wurde vielfach auch schon während des Erzählens die Überraschung darüber ausgedrückt, was und wieviel Intimes spontan geteilt wurde. Mehrfach wurde auch bemerkt, wie wohltuend diese Begegnungen auf einer zutiefst menschlichen Ebene – über alle sozialen, professionellen und Generationsunterschiede hinweg – für sie gewesen seien.

Ich freue mich im Rückblick auf den Tag auch darüber, im Organisations- und Zuhörteam wirkliche GFK-Gemeinschaft erlebt zu haben. Wir begegneten uns nochmals anders als in Seminaren: Wir lebten GFK miteinander und teilten unsere Begeisterung und Gemeinschaft mit anderen. In Leichtigkeit und Freude haben wir etwas zusammen auf die Beine gestellt, was über uns selbst hinaus wirkte. Und mich selbst hat der Tag wieder einmal eindrücklich an die Kraft des Zuhörens erinnert.

/ Mit einem besonderen Dank an die Mit-Hörenden: Karin, Kristin, Michael, Nadia, Philipp, Rebecca und Sabine. /

(Thomas Stelling, März 2018)

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