• “Das ist ja, als wenn ich einen total Fremden in meinem Haus habe.”
  • “Komm’ mir bitte nicht schon wieder mit GFK!”
  • “Was ist denn mit dir passiert? Kannst Du nicht mehr normal reden?”
  • “Du klingst so künstlich.”
  • “Warum kannst du nicht einfach ehrlich mit mir sein und sagen, was wirklich los ist?”

So wird oft auf Menschen reagiert, die mit der Gewaltfreien Kommunikation “auf Stelzen gehen”, die GFK also vor allem als Kommunikationstechnik anwenden. Diese Sätze (frei übersetzt) schrieb die US-amerikanische NVC-Trainerin Miki Kashtan in ihrem sehr empfehlenswerten Blog “The Fearless Heart” in einem kürzlichen Beitrag über die Fallen der GFK: “Basic Pitfalls of Using NVC“. Die Anwendung von GFK kann also offensichtlich ziemlich daneben gehen, und anstatt zu mehr Verständigung und Mitgefühl gerade zu Trennung beitragen.

Als ich mich in die GFK verliebte …

war ich sofort begeistert von dieser neuen Kommunikationsweise, durch die Gespräche, Beziehungen (mit anderen und mir) und die Welt insgesamt so viel gewaltfreier werden können. Ich fühlte mich zunehmend wohl in der Umgebung von “Giraffen” (das Symboltier der Gewaltfreien Kommunikation). Aber im Lauf der Zeit habe ich auch schmerzhaft erfahren dürfen, dass es mir “durch GFK” oft gerade auch nicht gelang, dass die Bedürfnisse von allen erfüllt oder wahrgenommen wurden. Vielmehr entwickelte sich gerade “die GFK” (genauer: meine Art und Weise sie anzuwenden) quasi zum Zankapfel in Beziehungen. Einige Menschen fanden mich zusehends seltsam mit meiner Kommunikation und  meinen wachsenden Kommunikationswünschen; und ich konnte ihre Art zu kommunizieren auch immer weniger schätzen. Ich erlebte sie als so wenig empathisch und stellte ernüchtert fest, dass sie sich gar nicht für die GFK interessierten. Manche reagierten schon allergisch, wenn ich das Wort “Bedürfnis” in den Mund nahm (ich heute übrigens manchmal auch!), und ich selbst reagierte allergisch auf alle Bewertungen, Analysen und Forderungen (ich heute übrigens nicht mehr so sehr). Ich fragte mich, warum nicht einfach alle Menschen so begeistert von der Gewaltfreien Kommunikation waren wie ich.

Heute kann ich gut verstehen, dass Menschen der GFK gegenüber nur wenig aufgeschlossen und sogar misstrauisch sind, wenn sie Menschen auf Stelzen begegnen, mit denen sie so gar nicht mehr “normal” reden können. Jetzt erforsche ich, wie das Lernen und Anwenden von Gewaltfreier Kommunikation von Anfang an wirklich “das Leben bereichern” kann. Wie können wir die GFK so lernen und vermitteln, dass uns die Liebe zur GFK nicht blind macht für ihre Fallen? Wie können wir die GFK weiter entwickeln, so dass wir das Potenzial verwirklichen, dass so viele Begeisterte in ihr sehen?

Gewaltfreie Kommunikation als Kommunikationstechnik:

gestelzt, nach außen orientiert

Ich beobachte zwei unterschiedliche Formen die GFK anzuwenden: Wir können mit der GFK um gewaltfreie Worte ringen und in der “BGBB-Sprache” sprechen lernen. Die Sprache ist dann sehr an den klassischen vier Schritten Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte orientiert. Dies wird von Uneingeweihten oft als gestelzt wahrgenommen werden. Ich stand lange selbst auf Stelzen, war ständig mit der neuen, geliebten Technik beschäftigt – und das, obwohl ich von Anfang an vermittelt bekam, dass es bei Gewaltfreier Kommunikation auf die Haltung ankommt. Auf den Stelzen laufend wirkte ich auf andere natürlich immer mehr oder weniger ungelenk. Die Stelzen erhoben mich auch ein wenig. Ich schaute damit von oben auf das, was um mich herum geschah. Einiges wurde mir aus dieser Perspektive klarer. Und ich empfand mich auch als überlegen, schließlich hatte ich die große Vision einer gewaltfreien Welt; schließlich sprach (bzw. übte) ich die richtige, zum Frieden beitragende Sprache.

Wenn wir die GFK als Technik anwenden, wollen wir im außen gewaltfrei reagieren. Unsere Aufmerksamkeit ist vor allem bei den Stelzen und dem nächsten Schritt. Auch wenn wir z.B. fest in Verurteilungen über jemanden stecken bleiben, und ziemlich weit entfernt sind von der “Schönheit der Bedürfnisse”, wählen wir formal gewaltfreie Worte. Vielleicht benennen wir sogar ein Gefühl (“irritiert” passt oft) oder einen Bedürfnisbegriff (“Wertschätzung” passt fast immer). Dabei vergessen wir, dass die darunterliegende authentische Botschaft unserem Gegenüber trotzdem zwischen den Zeilen immer mit übersendet wird. Wir merken vermutlich auch gar nicht, wie getrennt wir gerade innerlich von der anderen Person und uns selbst sind. Wir tragen mit den Stelzen auch die Überzeugung, durch GFK zur “Verbindung” beizutragen. Unsere eigenen “Empathielücken” bleiben unbeantwortet.

Unser Gegenüber ist eventuell verwundert über scheinbar gewaltfreie Worte, empfängt sie doch auf ihren verschiedenen Empfangskanälen nun inkongruente Nachrichten. Zudem spürt sie die Unsicherheit des Stelzen laufens. In jedem Fall wird sie uns nicht als authentisch erleben.

Gewaltfreie Kommunikation als politisch korrektes “Neusprech”

In der GFK-Szene hat sich – in meinem Eindruck – eine Art “Neusprech” in Form einer gestelzten Sprache eingenistet. George Orwell hat mit Neusprech in seinem Roman “1984″ eine Sprache bezeichnet, die aus politischen Gründen künstlich modifiziert wurde: Durch Sprachregelung will das herrschende Regime die Menschen manipulieren und ihr Denken in bestimmte Bahnen lenken. Gefühlsbetonte Worte werden ersetzt, das Wort “frei” gibt es nicht mehr im politischen Sinn, sondern nur noch als “frei von Flöhen”.

Die vorherrschenden “Sprachregelungen” in der GFK-Szene sind natürlich ganz andere: Der Ausdruck von Gefühls- und Bedürfnisbegriffen steht hoch im Kurs, “richtig” und “falsch” verwendet man besser gar nicht mehr, “gut” und “böse” kommen im neuen Vokabular der political correctness ebensowenig vor wie “Schuld”. Dafür sind Worte und Phrasen wie “das Leben bereichern”, “Einfühlung geben” und “Verbindung” sehr beliebt. Man hat viele “Bedürfnisse nach …”, sagt empathisch “fühlst du dich …, weil dir … wichtig ist?” oder fragt “Kannst du bitte wiederholen, was du gerade von mir gehört hast, damit ich sicher sein kann, das angekommen ist, was ich sagen wollte?” – Die neue Sprache mag oberflächlich Zugehörigkeit und Gemeinschaft bieten, denn sie verbindet in diesem Sinne wirklich – kann allerdings auch unkundige Menschen ausschließen. Die Intention des Pflegens dieser neuen Sprache ist sicherlich edel, ich bezweifle jedoch, dass solch Gemeinschaftsbildung der Vision der Gewaltfreien Kommunikation besonders förderlich ist.

 

Gewaltfreie Kommunikation als Persönlichkeitsentwicklung:

bodenständig, nach innen orientiert

Wir können die GFK auch bodenständig anwenden, entspannt weiterhin in allgemein verständlicher Sprache reden. Das ist zumindest außerhalb von GFK-Übungskontexten auch stark anzuraten (s. Anfangsworte zur Erinnerung). Durch weniger Neusprech bleibt auch die Verständigung jenseits von GFK-Interessierten selbstverständlich möglich. Wir stehen, wenn wir die GFK bodenständig anwenden, weiter mit beiden Beinen auf der Erde, nehmen den eigenen “Boden” jedoch bewusster wahr.

Die GFK ist dann statt Kommunikations- mehr Reflexionsmodell, mit dem ich mich selbst und den Ort erkunde, an dem ich mich innerlich befinde. Und ich verändere diesen Ort, von dem ich spreche, durch die GFK. Ich praktiziere und lebe die GFK, indem ich immer wieder meine Aufmerksamkeit von außen nach nach innen richte. Ich schule meine Selbstwahrnehmung und (Selbst-) Empathie, gehe meinen eigenen Gedanken oder den Worten des anderen auf den Grund, verbinde mich mit den Gefühlen und Bedürfnissen unter den Worten. Und ich bemerke zudem, wenn mir das nicht gelingt, ich selbst mehr Empathie brauche. Auf dem Boden stehe ich aber darüber hinaus noch in dem Sinne, dass ich eine Wahrnehmung für das Gelände und das Umfeld habe, das ich mit einem Gesprächspartner teile. Ich werde also auch entsprechend situativ und kontextangepasst kommunizieren.

Wann immer ich von meinem Boden aus dann Worte finde oder handle, wird dies den inneren Ort widerspiegeln, an dem ich bin. Es geht dabei nicht mehr um ein möglichst perfekt gewaltfreies Reden – diesbezüglich kann ich mich also wieder entspannen. Die genauen Worte sind zweitrangig. Sie mögen bodenständig sogar weniger gewaltfrei erscheinen. Dafür kommen sie in jedem Fall mehr von innen und sind authentischer.

Mit zunehmender Praxis werde ich klarer realisieren, an welchem Ort ich gegenwärtig bin: innerlich mit mir oder dem anderen verbunden, oder getrennt etwa durch mein Denken (über den anderen oder mich selbst). Erfasse ich gerade die Beobachtung, die einer Erzählung, die ich gerade höre, innewohnt? Suche ich gerade nach einer Bitte, die ich stellen könnte, um Bedürfnisse zu erfüllen? Wie geht es dem anderen im Moment? Trifft etwas, was ich höre, gerade einen wunden Punkt in mir? Höre ich einen Vorwurf oder eine Forderung? Ich werde – mit Hilfe des Reflexionsmodells und den Schlüsselunterscheidungen der GFK – mich selbst innerlich klären, soweit ich in dem Moment dazu imstande bin und mir Zeit dafür nehme. Ungeklärtes kann ich später immer noch anschauen und dann aufgedeckte Empathielücken füllen. Erfahrensgemäß beschert mir das Leben sowieso noch weitere vergleichbare Erinnerungen. In jedem Fall antworte ich also bewusster von innen, wenn ich die GFK bodenständig anwende; ich reagiere nicht nur mehr im außen. Ich antworte von meinem Boden, mit all der Klarheit oder auch Unklarheit, die ich gerade in mir habe.

Wie gewaltfrei meine Antwort letztlich sein wird, hängt davon ab, wie weit ich im gegenwärtigen Moment das GFK-Bewusstsein und seine Prinzipien halten kann (und das ist von außen nicht zu sehen!). Mein durchschnittlicher Schwerpunkt wird dadurch bestimmt sein, wie tief ich die GFK integriert habe. Bodenständig werde ich in Gesprächen auch dem Aufruf des Titels eines meiner Lieblings-GFK-Bücher folgen: “Sei nicht nett, sei echt!” – und das in voller Verantwortung für die eigenen Gefühle und Bedürfnisse und offen für empathischen Kontakt und Klärung. Nicht die Kommunikationstechnik steht also bei solch einer Anwendung der GFK im Mittelpunkt, sondern die Gewaltfreie Kommunikation wird vielmehr zur Grundlage meiner spirituellen Praxis und Persönlichkeitsentwicklung.

Lernen der Gewaltfreien Kommunikation als Entwicklung von Empathiefähigkeit

Das eigene Lernen und das Vermitteln der GFK wird entsprechend unterschiedlich sein: Ein Fokus nach außen und auf  die Worte wird eher eine gestelzte GFK, ein Fokus nach innen und auf meine Praxis wird eine bodenständige GFK fördern. Wenn wir keine gestelzte GFK fördern wollen, wird es beim Lernen und Vermitteln der GFK nicht vor allem um die Anwendung der vier Schritte gehen (wie z.B. oft in Rollenspielen), um das Studieren von Schlüsselunterscheidungen, oder um ein schnelles Suchen nach korrekten Gefühls- und Bedürfnisbegriffen oder klar formulierten Bitten. Es wird beim Lernen einer bodenständigen GFK vielmehr zentral, sich selbst zu erleben, sich zu ergründen, in eigenen Prozessen und Konflikten. Dabei unterstützen Gemeinschaften (wie Ausbildungsgruppen auf Zeit), die (Selbst-)Vertrauen und Offenheit fördern. In den Mittelpunkt rückt die Schulung der Empathiefähigkeit, das Füllen von Empathielücken bei sich und anderen, das Erkennen von Denk- und Verhaltensmuster. Diese werden mit Hilfe der vier Schritte, der Schlüsselunterscheidungen verwandelt. So bekommen wir tieferen Einblick in den Ursprung unseres Fühlens und Handelns und werden unvermeidbar mehr (Selbst-) Verantwortung übernehmen.  Aus dem Kontakt zu authentischen Gefühlen und Bedürfnissen bei uns selbst, aus der tieferen Verbindung mit diesem Ort, können wir mitfühlender und liebevoller werden.

Der Vision der Gewaltfreien Kommunikation entgegen gehen – ohne Stelzen

Wenn wir uns in die GFK verlieben und versuchen auf Stelzen zu laufen, haben wir die GFK als Kommunikationstechnik angewendet. So verbreitet und angewendet wird sie weiter viele Menschen abschrecken. Und sie wird weder ihr Potenzial im Bereich Persönlichkeitsentwicklung noch im Bereich sozialer Wandel entfalten können. Gleichzeitig befürchte ich aber, dass sich in der GFK-Szene viele Stelzen-Liebhaber finden…

Ich bin immer wieder traurig zu hören, wenn mir GFK-informierte Menschen sagen, dass in ihrem Berufsumfeld die GFK ja wohl nicht funktionieren kann, es zu lange dauert so zu sprechen, oder die GFK nur funktionieren kann, wenn der Gegenüber auch mitmacht. Immer wird die GFK dabei offensichtlich als Kommunikationstechnik verstanden. Auch im Herkunftsland der Nonviolent Communication, den USA, gibt es Trainerinnen wie Miki Kashtan, die deshalb an “naturalizing NVC” interessiert sind – also eine weniger gestelzte Sprache sprechen und vermitteln. Und um mich nicht falsch zu verstehen: Sicherlich werden sich durch eine Praxis der GFK (und die so angestoßene Persönlichkeitsentwicklung) auch unsere Worte und unser Verhalten verändern, aber sie sind nicht der Ausgangspunkt gewaltfreier Veränderung.

Eine gestelzte Gewaltfreie Kommunikation kann der radikalen Vision der Gewaltfreien Kommunikation (und von Marshall Rosenberg) nicht nahe kommen, weil sie nicht an die Wurzeln geht, weil wir mit ihr gar nicht mehr auf dem Boden stehen. Wie können wir also zu einer Welt mit mehr Mitgefühl und Menschlichkeit auf der Grundlage der Prinzipien der Gewaltfreiheit beitragen, so dass die Bedürfnisse von allen Menschen wahrgenommen und erfüllt werden? Ein erster Schritt wäre, die Stelzen beiseite zu legen und bodenständiger zu werden. So können wir auch mit der GFK authentisch bleiben und mehr uns selbst und die Menschen lieben – und nicht die Stelzen.

Frühere Kommentare

6 Kommentare


gisela on 28. Juni 2012 at 05:51 
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Hallo Thomas, ja , genau diese Erfahrungen habe ich auch gemacht. Ich war besessen von GfK und versuchte die 4 Schritte in meine Sprache einzubauen. Effekt: Du redest komisch. Bei einer Mail die ich dann schrieb um einen Konflikt zu betrachten, sagte mein mann: Lass doch mal die GfK weg. So wurde meine Sprache wieder “gesellschaftsfähig und verstehbar. Seitdem ist Gfk für mich votwiegend eine Möglichkeit in erster Linie mir selbst auf die Spur zu kommen, im Stillen mehr verständnis für andere Menschen zu erlangen und aus diesen Einsichten heraus mein verhalten zu ändern. Ein langsamer ,doch efekktiver Weg zur anderen Kommunikation. Die 4 Schritte wende ich also nur insgeheim an und je nach situation frage ich mein Geggenüber ,oder auch nicht, was er/sie möchte, sich wünscht. Dies tue ich nach meinem Empfinden und nicht nach der Vorgabe der 4 Schritte. Lieben gruss Gisela

Gerhard Lorenz on 28. Juni 2012 at 16:19

Lieber Tom, 
ich habe gerade deinen Beitrag “Gewaltfrei auf Stelzen oder bodenständig?” gelesen. Er hat mich berührt, erinnert und inspiriert. Danke dafür – meine Bedürfnisse nach Gemeinschaft und Entwicklung wurden erfüllt.
Deine Beschreibung hat mich an meine persönlichen Erfahrungen auf meinem GFK-Weg und mit anderen Menschen auf ihrem GFK-Weg erinnert. In meinem Verständnis kann sich die (Persönlichkeits-)Entwicklung eines Menschen zur GFK-Haltung (wie ich sie verstehe) nur allmählich vollziehen. Ich komme aus der Richtig-Falsch-Welt” und betrachte GFK, wenn sie in mein Leben tritt, durch meine Richtig-Falsch-Brille: Jetzt ist GFK, wenn ich mich darin verliebe, richtig – und die Art, wie ich vorher kommuniziert und gelebt habe, falsch. Nach meiner Auffassung ist dieser Zwischenschritt ganz normal und unvermeidlich. Bis ich für mich dahin komme, dass ich in jeder Art zu sprechen bzw. zu handeln (bei mir und anderen Menschen) einen Menschen mit seinen Bedürfnissen sehen und mich davon berühren lassen kann (so meine Vision), ist es ein weiter Weg. Mit dem Vokabular der Richtig-Falsch-Welt würde ich es so bezeichnen: Jede Art zu sprechen und zu handeln ist nun richtig (und zwar ein “Richtig”, dass ich tief in mir erlebe). Wenn ich also anfangs mit Stelzen gehe, lerne ich vielleicht einen neuen Blickwinkel kennen (den von oben, wenn ich den “richtigen” Weg gehe) und mache neue Erfahrungen damit. Und es ist (für mich) okay, auch wenn ich zu einem späteren Zeitpunkt bedauere, dass ich mich in bestimmten Situationen verhalten habe, wie ich mich verhalten habe.
Das Lernen der vier GFK-Schritte (aus meiner Sicht der GFK-Werkzeugkasten), kann mir helfen, mehr Klarheit im zwischenmenschlichen und intraindividuellen Geschehen zu bekommen. Ebenso durch das Erlernen der Schlüsselunterscheidungen und anderer Techniken. Der GFK-Werkzeugkasten ist für mich ein Hilfsmittel beim Erlernen meiner GFK-Haltung.
Wenn ich GFK kennenlerne und meine ersten Gehversuche damit mache, werde ich zuerst dort landen, wo ich auch vorher zuerst war – nämlich beim anderen. Aus meiner Sicht ein normaler und unvermeidlicher Zwischenschritt. Bis ich dahin komme, immer bei mir (mit Selbstempathie) zu beginnen und bei mir zu bleiben, bis ich mit mir versöhnt bin (so meine Vision), ist es ebenfalls ein weiter Weg.
Wenn mir GFK begegnet und ich vorher kommuniziert habe, um andere Menschen zu etwas Bestimmtem zu bewegen, werde ich das anfangs auch mit dem neu erworbenen Wissen über die vier GFK-Schritten probieren. Auch dies ist für mich ein normaler und unvermeidlicher Zwischenschritt. Das Vertrauen zu haben, dass meine Bedürfnisse durch Bitten (bzw. deren Erfüllung) “am besten” erfüllt werden, und immer auf der Suche nach Strategien zu sein, die die Bedürfnisse aller erfüllen (so meine Vision), entsteht nicht von heute auf morgen.
Als GFK-Trainer sehe ich es als meine Aufgabe, meinen Trainees diesen Weg (mit seiner Zeit) und seine Gefahren zu skizzieren und entsprechende Angebote (z. B. GFK-Übungsgruppe) zu machen. Wie ein Teilnehmer dann mit meinem Angebot umgeht, liegt in seiner eigenen Verantwortung. Jeder wird sich nach seinen Möglichkeiten (in seinem Tempo, mit seinen Schritten) entwickeln – und es ist für mich gut so, auch wenn ich denke, dass er (noch) nicht da angekommen ist, wo ich gerne hin möchte .

rainer on 30. Juni 2012 at 07:18

hallo tom, du sprichst mir mit deinem beitrag aus der seele. auch als gfk-freund ( zum verliebtsein fehlt mir die sehnsucht. nach krtikloser hingabe) stört mich erheblich die blutleere der gestelzten gfksprache. der eindruck von fehlender autentizität meines gesprächspartners drängt sich mir durch die formelhaftigkeit der sprachverwendung auf. meistens kann ich schon voraussagen, was kommt. da fehlt mir das unberechenbare leben. es wird dann für mich sogar schwieriger, mein gegenüber in seiner menschlichkeit und unzulänglichkeit zu sehen. insofern gefällt mir dein vergleich mit neusprech: es wird mehr verborgen als gezeigt, auch eine form von lüge. wie paradox, dass ausgerechnet gfk-sprache die verständigung zumauert. unbehaglich wird mir auch durch die doppelbotschaften, die ich erhalte: außen nett – innen genervt. schön auch, dass du von bodenständig sprichst. was mir in dieser politisch korrekten sprache oft fehlt sind erdigkeit, kraft und feuer. ich hoffe, wir finden einen weg zu einer geerdeteren sprache. kürzlich habe von street-giraffe gehört. dem will ich mal nachgehen. so long rainer

Petra on 13. Juli 2012 at 10:51

Hallo zusammen,
DANKE für den Beitrag!

GfK auf Stelzen fasst das in Worte, was mich unterschwellig bei den Seminaren und Übungsgruppen immer wieder gestört hat und wofür ich keine Worte gefunden habe! Jetzt sehe ich klarer, dass nicht die GfK mein Problem ist, sondern das, was beim Üben der 4 Schritte häufig herauskommt. Ich hatte so oft das Gefühl mit dieser Sprache nicht mehr ich selbst zu sein und manchmal den Eindruck in einer Sekte gelandet zu sein, in der alle die gleichen stereotypen Worte benutzen, wo kein Platz für meine individuelle Sprache ist!
Ich hab den Eindruck, dass Eure Idee von GfK verdammt unbequem für jeden einzelnen werden kann und genau darin das Potential für wirkliche persönliche Weiterentwicklung liegt. Und ich habe eine Idee bekommen, worauf ich das Augenmerk legen will, wenn ich GfK weitergeben möchte. GfK als Möglichkeit zur Selbstreflexion und nicht als Kommunikationsstratgie.
Bin gespannt, was sich weiter tut!

Viele Grüße, Petra

Thomas Stelling on 13. Juli 2012 at 12:12

Liebe Gisela, Gerhard, Rainer und Petra,

danke für Eure Kommentare und das Teilen eurer persönlichen Erfahrungen und Schlussfolgerungen. Ich wünsche mir, genau wie Gisela schreibt, eine GFK, die in jedem Fall “gesellschaftsfähig und verstehbar” bleibt. Und Marshall hat das nach meinem Verständnis auch selbst betont, indem er von “street giraffe” gesprochen hat, also einer konsequent auf die jeweilige Umgebung und das Gegenüber eingestimmten Sprache. So hat er die Intention der GFK, “Verbindung”, in den Mittelpunkt gestellt. Das Problem: Natürlich hat er selbst recht oft formal korrekt GFK geredet, wie auf Seminaren, in Videos und in Büchern. Allerdings blieb ER damit – meines Erlebens nach – immer auch authentisch und ehrlich. Er hat quasi seine inneren Prozesse auf Grundlage der GFK in seiner Sprache transparent gemacht. In meinem Verständnis war das auch seine Lehrmethode. Schwierig wird es jedoch, wenn Menschen jetzt seine Sprache modellieren, sie nachmachen, ohne das aus der Haltung und dem Bewusstheit zu machen, die Marshall dabei hatte. Ich glaube nicht, das eine gestelzte, unauthentische Sprache “ein normaler und unvermeidlicher Zwischenschritt” ist, wie Gerhard schreibt. Genau darum geht es uns in der NVC Trainerakademie, dass wir als Trainer und mit der GFK lebende nicht in diese “Falle” des unauthentisch werdens geraten. Daher unser Ansatz: Von Anfang an keinesfalls in vier Schritten oder “GFK” zu sprechen (und schon gar nicht außerhalb von Übungskontexten), den Fokus nicht auf die “neue” Sprache legen (die GFK also nicht wie eine Fremdsprache vermitteln) – sondern sie mehr als (Selbst-) Reflexions- denn als Kommunikationsmodell begreifen. “Straßengiraffisch” von Anfang an – auch von Babygiraffen, wie Marshall liebevoll die Anfänger nannte! Das entspannt doch auch total, oder?

Liebe Grüße Thomas

François on 17. September 2012 at 16:36

Hi Thomas,
endlich habe ich einen Artikel gefunden, der genau meine Eindrücke wiedergibt.

GFK als Methode zur eigenen Verbesserung seiner Kommunikation ist die eine Seite und reiht sich in so viele andere Möglichkeiten auf dem linken unteren Quadranten des [WIR] (Ken Wilber – AQAL) ein. Auf dem oberen linken Quadranten [ICH] ist GFK eine weitere Erfahrungsebene der 1. Person zur Persönlichkeitsentwicklung. Als Kommunikationsrahmen der 3. Person ist das ‘Lehren’ mit Stelztechnik nicht immer gewaltfrei.
Warum denn immer wieder GFK wie ein Wappen vorantragen, es wirkt teilweise abschreckend und wird wie manche Sektenannäherung empfunden. Behalten wir doch die ‘Vision’ GKF zur ‘Besserung’ der Welt für uns. Es gibt so viele positive Ansätze, wenn man die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte auf dem Sektor der Bewusstseinsforschung anschaut. Und wie Markus in der Betrachtung, ob GFK systemisch ist, angedeutet hast, wird neuerdings ‘integral’ so oft benutzt, Ken Wilber zitiert, und man fragt sich, hat derjenige Ken Wilber und die anderen Autoren, die sich intensiv mit ‘Integraler Spiritualität’ beschäftigt haben, überhaupt gelesen?
Klar ist das methodische Lernen von GFK Voraussetzung für all jene, die sich in ihrer Begeisterung für diese Einsichten berufen fühlen, ‘es’ weiterzugeben. Deine Erfahrungen zeigen aber genau die Falle, die sehr schnell in ‘I got it – here it is for you’ – gestelzt vermittelt wird.
Danke für Deinen Post.

Anmerkung: zuerst veröffentlicht und mit den Kommentaren auf http://nvc-trainer-akademie.com/2012/06/gfk-auf-stelzen/, 27.6.2012

Foto:
mediaflair / pixelio.de

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